Schnelle Hilfe für kreuzlahme Saitenakrobaten

Vier Kilogramm sind genug!

Über fünf Kilogramm – diese Paula leidet unter Übergewicht

Jetzt ist es wieder so weit: Die Last der Verantwortung zerrt an meiner Schulter, ach was, die Last des ganzen Lebens ist es. Und der Auftritt hat gerade erst angefangen. Ich könnte meine geliebte Axt direkt an die Wand klatschen. Aber ein Indianer kennt keinen Schmerz, also Augen zu und durch. Die verzerrten Gesichtszüge können genauso gut als Showelement durchgehen.

Wenn sie nur nicht so geil klingen täte! Leider tut sie es, und leider ist sie dabei bis zu fünf Kilogramm schwer. Die Rede ist (beispielsweise) von einer guten Gibson Les Paul, aber es kann genauso gut ein Fender Jazz Bass aus den 1970er-Jahren gemeint sein oder ein aktueller Achtsaiter – wobei es ziemlich egal ist, ob es sich dabei um eine Gitarre oder um einen Bass handelt.

Gibson Les Paul: feuchter Traum vieler Gitarristen, Arbeit für Generationen von Physiotherapeuten

Was ist so schlimm an einem Instrument, das fünf Kilogramm wiegt? Wer diese Frage stellt, ist entweder Bodybuilder oder Jungspund. Wenn so ein Teil, am Gurt hängend, auf die Schulter drückt, wird diese irgendwann mit Verspannungen und Schmerzen reagieren. Das kann so weit gehen, dass man sich sein Saiteninstrument nach einer halben Stunde am liebsten vom Gurt reißen würde. Blöd, wenn man dann noch zwei Stunden Gig vor sich hat. Fast alle alten Säcke leiden mehr oder weniger stark an solchen Schmerzen, und einige davon haben sich deswegen auch von der Bühne zurückgezogen.

 

Sofortmaßnahmen

Es gibt ein paar Maßnahmen, die man sofort ergreifen kann, wenn solche Schmerzen auftauchen. Und mit sofort meine ich auch sofort, nicht erst nach dem Auftritt oder der Probe.

  • Ein Instrument am Gurt zieht den Oberkörper nach vorn und nach unten. Nimmt man die Schultern bewusst zurück, lassen die Schmerzen  schlagartig nach, da das Gewicht automatisch anders verteilt wird. Allerdings erkauft man sich diesen Vorteil durch eine ungewohnte Position der Anschlags- und der Greifhand. Aber es lohnt sich!
  • Habt ihr ein zweites Instrument dabei? Dann wechselt die Instrumente so häufig wie möglich, denn bei jedem Wechsel wird die Schulter kurzzeitig entlastet und die Muskeln alleine durch die Bewegung beim Wechsel wieder gelockert.

    Zwei Instrumente auf der Bühne sehen immer besser aus als nur eines – und es entspannt die Schultern
  • Schnappt euch einen Stuhl und setzt euch hin. Das sieht zugegebenermaßen uncool aus (wenn ihr nicht gerade Jazz spielt), aber es reicht ja schon, wenn ihr euch ein paar Minuten hinhockt und die Show den Mitmusikern überlasst. Cooler sieht übrigens ein Barhocker aus. Allerdings gibt es Musiker, die auch noch mit einem gebrochenen Bein auf einem Stuhl thronend die obercoole Sau markieren – Dave Grohl von den Foo Fighters gehört definitiv dazu!

Auf lange Sicht

Was aber hilft wirklich gegen Schulter- und Rückenschmerzen? Klare Antwort: Sport, Physiotherapie und leichte, gut ausgewogene(!) Instrumente. Ein starker Rücken kennt keine Schmerzen, sagen uns die Krankenkassen, und leider stimmt das auch. Man kann mit einer Kräftigung nicht früh genug beginnen, speziell wenn man vorhat, in seinem Leben viel zu spielen und eine starke Show auf die Bühne zu legen. Hierbei solltet ihr euch von einem Physiotherapeuten beraten lassen, denn eine normale Muckibude ist nicht auf solch spezielle Probleme eingerichtet.

Leicht fliegt besser

Muss es denn wirklich dieses schwere Instrument sein? Kann eine leichtere Gitarre den Job nicht ebenso gut machen? Speziell live hört man die Unterschiede zwischen vier und fünf Kilogramm schweren Instrumenten nicht mehr, wenn man sie vorher sorgfältig ausgesucht hat.

Speziell die Bassisten haben zudem häufig mit kopflastigen Bässen zu kämpfen. Hier hilft es, die Stimmmechaniken gegen ultraleichte Konstruktionen auszutauschen, wie es sie von Gotoh oder Schaller gibt. Das kann einen Unterschied von einem halben Pfund ausmachen! Ein Fender-Bass fühlt sich nach einer Austauschaktion an wie ein neues Instrument.

Schaller BM Light: vier Stück für nicht einmal 200 Gramm
Schaller BMF – das Original. Vier Stück wiegen fast ein halbes Kilogramm

Plastik oder Leder? Hauptsache breit!

Dass ihr einen breiten, gut gepolsterten Gurt verwenden müsst, sollte eigentlich klar sein, oder? So fertigt beispielsweise die Firma Richter-Leder (nein, nicht verwandt oder verschwägert mit mir!) richtig tolle Gurte, die nicht nur superbequem sind, sondern auch noch klasse aussehen. Zugegebenermaßen haben die Spitzengurte ihren nicht geringen, aber völlig angemessenen Preis. Wer nicht ganz so viel ausgeben will: Es gibt Gurte aus breitem Nylongewebe, die überraschend bequem sind. Es muss jedoch auch wirklich die acht Zentimeter breite Version sein!

Vielen Tüftlern ist dieses Problem bekannt, und so gibt es etliche mehr oder weniger abenteuerliche Konstruktionen, die das Gewicht auf beide Schultern verteilen soll. Überzeugen konnte mich jedoch keine davon, aber vielleicht ist es für euch genau das Richtige! Versuch macht kluch …

Letzte Hilfe

Kann man machen. Sieht nur bescheuert aus! Foto: Annika Roth

Und wenn alles nichts hilft? Ich selbst habe mir für die besonders schlimmen Stunden einen EUB (electric upright bass) zugelegt und eine P-Bass-Pickup eingebaut, so dass er einigermaßen elektrisch klingt. Der steht von selbst und hängt nicht auf der Schulter. Ich gebe aber zu, dass „Highway to Hell“ auf einem elektrischen Kontrabass zwar überzeugen klingt (wenn man es gelernt hat), aber leider richtig bescheuert aussieht.

Allerletzte Hilfe: Alles nur heiße Luft …

Hier drückt nichts, und billiger als eine 58er Standard ist es allemal! Foto: Frank Schwichtenberg – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Für showbegeisterte Gitarristen, die keine Krücken wollen, oder die keine entsprechende Gitarre finden (eine solche gibt es bisher auch noch nicht), kenne ich noch eine letzte Möglichkeit: Luftgitarre! Die drückt nicht auf den Schultern, man muss keine Skalen üben, und über treibende Drummer muss man sich schon gar nicht ärgern!

Jürgen Richter

2 Antworten auf „Schnelle Hilfe für kreuzlahme Saitenakrobaten“

  1. Hallo Jürgen,
    guter Beitrag!
    Nachdem ich nach den Gigs mit meiner gut 4 kg schweren Gretsch immer mit Kreuzschmerzen und Verspannungen zu kämpfen hatte, bin ich zeitweise auf leichtere Gitarren ausgewichen. Nachdem dass aber nur eine Symptombekämpfung ist und längerfristig nicht hilft, habe ich vor einiger Zeit meinen inneren Schweinehund überwunden und mit Rückentraining angefangen. Der Zeitaufwand beträgt nicht mehr als 10 Minuten am Tag, aber das regelmäßig.
    Seitdem klappt’s auch wieder mit der Gretsch!
    Beste Grüße
    Daniel

  2. Tolle Tipps, lieber Jürgen!
    Am besten gefällt mir: Zwei Instrumente sehen auf der Bühne ohnehin besser aus … Der wichtigste aber aus meiner Sicht: viel Sport machen und nicht einrosten – dann sinkt auch die Gefahr, dass man unter einem schweren Instrument leidet.
    Einwand bezüglich „Speziell live hört man die Unterschiede zwischen vier und fünf Kilogramm schweren Instrumenten nicht mehr, wenn man sie vorher sorgfältig ausgesucht hat“: Tendenziell – gerade bei Les Pauls – ist es schon so, dass die etwas schwereren Exemplare im Bereich zwischen 4,4 und 4,8 kg oft einfach besser und direkter klingen als so manches Custom-Shop-Leichtgewicht mit 3,8 kg. Das mag der Zuhörer vom Ton an sich live erst mal nicht bemerken, aber der Gitarrist selbst merkt es – weil der Ton einfach präsenter ist. Die wiederum kann zu inspirierterem Spiel führen, und das hört das Publikum dann schon 🙂 Sozusagen ein indirekt positiver Effekt des schwereren Holzes …
    Herzliche Grüße
    Florian

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