(Noch) kein Nachruf auf einen alten Freund
Die Musikmesse 2018 hat ihre Tore geschlossen. Nicht wenige Stimmen vermuten: für immer. Das wäre schlecht, denn die MI-Industrie, die Hersteller, Vertriebe, Verlage und Händler, brauchen einen zentralen Treffpunkt in Europa.
Eine gefühlte Ewigkeit war die Musikmesse für mich das zentrale Ereignis des Jahres. Anfangs nur als Besucher, später als Mitarbeiter der Fachmagazine genoss ich es jedes Mal wieder, in diesen berauschenden Kosmos aus Klängen und Menschen einzutauchen. Wie alle anderen suchte ich nach den neuesten Neuigkeiten, nach bunten Prospekten und nach Plastiktüten mit Werbegeschenken und staunte über die Workshops mit den Stars der Szene.
Fußlahm, halb taub, aber glücklich!
Und „all die anderen“, das waren ganz schön viele. Es waren so viele, dass ich zum Teil nicht mehr durch die Gänge durchkam und mich regelrecht durchboxen musste. Und wenn der Tag vorbei war, bin ich schlagkaputt, fußlahm und halb taub in irgendeinen Stuhl gesunken und habe gehofft, nie wieder aufstehen zu müssen. Und war glücklich.
Tempora Mutantur
Diese Zeiten sind vorbei, möglicherweise für immer. Die letzten Jahre waren geprägt von sinkenden Aussteller- und Besucherzahlen. Das ging zuerst ganz langsam, war kaum zu bemerken, und die Rufer, die es damals schon in der Wüste gab, wurden als heillose Pessimisten verschrien. Dann blieben die ersten großen Aussteller weg und hinterließen unübersehbare Lücken. Gibson, Marshall, Warwick oder Fender beispielsweise hatten immer riesige Standflächen gebucht – weg. Weitere folgten. Inzwischen scheint sich sowohl die Besucher- als auch die Ausstellerzahl der Musikmesse im freien Fall zu befinden, trotz heroischer Versuche der Messeleitung, das Steuer wieder herumzureißen.
Wege aufs Abstellgleis …
Nicht nur ich frage mich: War’s das jetzt? Die Musikmesse kommt mir vor wie ein Zug, der auf das falsche Gleis geraten ist und nun mit Volldampf auf den Rammbock zuhält. Und auch wenn man ihn zum Stehen bringen könnte – einen Rückwärtsgang gibt es nicht. Es ist dabei nicht von Belang, wer dafür verantwortlich ist. Wichtig wäre jetzt, die Probleme zu analysieren und zu benennen, und dann die Kräfte zu bündeln, um den Zug wieder auf das richtige Gleis zu bringen. Der Wille dazu ist da, und auch an Ansätzen mangelt es nicht. Und: Es wird bereits einen Termin für 2019 kommuniziert. Das macht Hoffnung!
… und wieder heraus
Die ersten kleinen Erfolge sind auch schon zu sehen. Wichtige Hersteller wie Hughes & Kettner oder Lakewood waren in diesem Jahr wieder auf der Messe zu finden. Auch Gitarrenbauer wie beispielsweise Christian Stoll haben den Weg zurück gefunden. Das werden die nicht ohne Grund gemacht haben, denn diese Messe ist keine billige. Ob sie ihren Preis wert ist? Ich denke schon! Auch in diesem Jahr sind immer wieder zufällige Begegnungen entstanden, Leute haben miteinander gesprochen, die sich sonst nicht begegnet wären. Noch funktioniert die Messe als Treffpunkt der Szene.
Warum die Musikmesse wichtig ist
Wenn ich also einen Wunsch an die Industrie und an die Messegesellschaft äußern dürfte: Lasst die Musikmesse nicht eingehen! Hier werden Synergieeffekte freigesetzt, die es mit den vielen kleinen Veranstaltungen, Summits, Shows und Events, die sich in den letzten Jahren etabliert haben, nicht gibt. Auch die NAMM Show in Anaheim kann das voraussichtlich nicht leisten, nicht für uns Europäer. Es gibt genügend Interessierte, denen der Weg in die USA zu weit, zu teuer – oder aus anderen Gründen versperrt ist.
Neue Rezepte braucht die Messe
Die aktuellen Herausforderungen verlangen, dass wir alle nach neuen Wegen suchen, denn die Rezepte, die noch vor zehn Jahren funktioniert haben, funktionieren nicht mehr. Aber eigentlich gibt es nur wenige Gründe zum Pessimismus, denn der Markt ist nach wie vor da, es wird noch immer musiziert, die Musikschulen, die Bläser- und die Streicherklassen sind voll.
Ja, es kommen immer weniger Aussteller auf die Musikmesse, und ja, es kommen auch immer weniger Besucher. Aber es ist müßig, dafür einen Schuldigen suchen zu wollen – davon haben wir nichts. Arbeiten wir also daran, den Karren wieder flott zu bekommen. Das kann natürlich dauern. Aber wenn die Musikmesse ein paar Jahre lang als Anhängsel der überraschend gut laufenden Pro Light+Sound mitgeschleppt wird, und sei es nur der B2B-Bereich, dann soll es so sein.
Wir sollten aufhören, uns unsere Messe totzureden.
Jürgen Richter
Schau an, die Musikmesse im neuen, nämlich leeren Look. So habe ich sie nicht in Erinnerung. Damals, vor Jahrzehnten (ist das wirklich sooo lange her?), als ich selbst noch jedes Frühjahr in Frankfurt war. Beruflich, weil ich auf der Messe zu tun hatte. Privatim auch, als leidenschaftlicher Musiker.
Gute und weniger gute Erinnerungen habe ich. Eines vermisse ich ausdrücklich nicht, und man könnte es ein akustisches Wahr- und Warnzeichen nennen: jene Dutzende von Gitarristen, die sich jedes Jahr ungefragt mühten, das Eingangsriff von „Smoke On The Water“ gefällig zu Gehör zu bringen.
In wenigstens 99 von 100 Fällen leider ohne Erfolg.