Wege aus der Panik
Es ist der Alptraum für einen Gitarristen oder Bassisten: Man steht auf der Bühne zum Soundcheck oder gar kurz vor dem Auftritt – und das Equipment tut keinen Mucks oder gibt sehr beunruhigende Geräusche von sich. Nun ist guter Rat teuer – oder auch nicht, wenn man ein paar einfache Regeln der systematischen Fehlersuche beherzigt.
Die erste und grundlegendste Regel lautet: Ruhe bewahren. Oder zumindest wiedererlangen. Blinder Aktionismus (Amp an- und ausschalten, an allen Steckern rütteln, fluchen) hilft nicht weiter. Auch die Aussage: „Gestern hat es noch funktioniert“ ändert nichts an der Tatsache, dass es heute eben nicht mehr funktioniert.
Regel Nummer 1: Akzeptiere, dass dein Equipment defekt ist.
Das mag trivial klingen, ist es aber ganz und gar nicht. Wie in vielen Lebenslagen müssen auch hier mehrere Phasen durchlaufen werden, bevor man wieder handlungsfähig wird. Und diese heißen bei uns: „nicht wahrhaben wollen“ und „Wut auf das Equipment entwickeln“. Kommt euch das bekannt vor? Nicht wenige Gitarren sind nach Durchlaufen der zweiten Phase tatsächlich kaputt. Je schneller wir diese Phasen hinter uns bringen, desto schneller können wir mit der Fehlersuche beginnen.
Wo klemmt’s?
Nun geht es darum, herauszufinden, welches Teil deines Equipments verantwortlich ist, dass du nichts hören kannst. Das ist zwar nicht ganz einfach, speziell wenn sich viele kleine bunte Bodentreter zwischen Gitarre und Verstärker befinden, aber mit ein bisschen Systematik sind wir meist in kürzester Zeit wieder spielfähig. Wir müssen nur an der richtigen Stelle mit der Suche beginnen.
Regel Nummer 2: Die Fehlersuche beginnt an der Quelle.
Unsere Quelle ist das Instrument. Wir ziehen also das Klinkenkabel heraus und bitten einen Kollegen mit einer hörbar funktionierenden Anlage, doch mal sein Klinkenkabel rüber zu reichen. Wenn nun noch immer nichts zu hören ist, liegt der Fehler an der Gitarre, und wir gehen direkt zu Regel Nummer 4 weiter. Aber möglicherweise hören wir jetzt doch etwas, und das bedeutet, dass zumindest das Instrument funktioniert. Das ist erst mal das wichtigste – aber wie geht es weiter?
Regel Nummer 3: Reduziere deine Anlage auf das Nötigste. Jetzt!
Das Nötigste ist eine funktionierende Signalquelle (Gitarre oder Bass), ein funktionierendes Klinkenkabel (wir können den gerade schon angepumpten Kollegen um eines bitten) sowie ein funktionierender Verstärker. Wir ziehen also das Kollegenkabel nicht aus unserem Instrument, sondern am anderen Ende heraus und stecken es unter Umgehung sämtlicher Effekte in unseren Verstärker. Hört ihr jetzt etwas? Nein? Ist der Verstärker eingeschaltet? Standby herausgenommen? Wirklich? Schaltet ihn mal aus. Funktioniert er jetzt? Es gibt ja Leute, die „an“ und „aus“ gerne mal verwechseln … Wenn noch immer nichts zu hören ist, ist es wohl der Verstärker, der kaputt ist, und wir gehen wiederum zu Regel Nummer 4.
Auftritt? Erst mal gerettet!
Wenn der Verstärker funktioniert, haben wir ein funktionierendes Basis-Setup, mit dem wir den Auftritt bestreiten können. Vielleicht nicht mit unserem gewohnten Sound, aber immerhin. Sollten wir jetzt noch Zeit haben, können wir uns um unser Effektboard kümmern – auch Stressbrett genannt. Warum es so genannt wird, wissen wir jetzt, denn genau hier muss der Wurm stecken – und häufig tut er das auch.
Luxusproblem: Was tut das Stressbrett?
Die Effekte werden anders gecheckt als der Rest des Equipments, nämlich beginnend mit dem letzten Gerät vor dem Verstärker. Das hat den Vorteil, dass wir ohne größeren Aufwand gleich die Verbindungskabel (Patchkabel) zwischen den Geräten überprüfen können.
Stellt sicher, dass ihr zwei funktionierende Klinkenkabel zur Hand habt (Gitarre und Amp funktionieren ja) und verkabelt eure Anlage damit erst mal wie gehabt. War’s das schon? Glück gehabt, denn dann war es eines der alten Kabel.
Nun nehmen wir uns das letzte (!) Gerät unserer Effektkette vor. Im Eingang des Effektes steckt das Patchkabel zum vorhergehenden Gerät, der Ausgang ist mit dem Amp verkabelt. Greift nun an die Spitze des Patchkabels. Wenn’s jetzt brummt, funktionieren Gerät und Kabel.
Hochwillkommen: der Brumm
Wenn bei diesem Griff an die Spitze nichts brummt, ist entweder das letzte Patchkabel oder der Effekt kaputt. Ein Check mit einem funktionierenden Kabel verschafft schnell Klarheit. Denkt auch daran, die Stromversorgung zu kontrollieren. Ein nicht leuchtendes Lämpchen bei aktiviertem Effekt ist meist ein Indiz für ein Problem an dieser Stelle. Auf diese Weise arbeitet ihr euch durch das komplette Board. Habt ihr ein stummes Effektgerät oder ein nicht funktionierendes Kabel entdeckt – weg damit und nicht weiter jammern.
Letzter Ausweg: Ersatzanlage
Was aber, wenn ihr auf diese Weise nichts entdeckt, die Anlage aber dennoch nicht funktioniert? Das ist wirklich extrem unwahrscheinlich, aber ich habe es genau so bereits erlebt. Oder wenn entweder die Gitarre oder der Amp kaputt ist? In diesem Fall braucht ihr einen Plan B.
Regel Nummer 4: Habe immer einen Plan B!
Plan B bedeutet, ein komplettes Ersatzsetup dabei zu haben, mit dem man einen Auftritt auf jeden Fall bestreiten kann. Er greift dann, wenn sonst nichts mehr funktioniert. Bewährt haben sich eine Ersatzgitarre (eine solche haben die meisten von euch sicherlich sowieso dabei) sowie ein Multieffektgerät mit einer Speakersimulation. Das kann man zur Not auch direkt ins Mischpult stöpseln.
Beschichtete Saiten rosten nicht
Die Ersatzgitarre muss nicht teuer sein, sie muss nur technisch perfekt funktionieren, was in diesem Fall auch bedeutet, dass sie ordentlich eingestellt und mit vernünftigen Saiten bestückt ist – Elixirs oder ähnliche beschichtete Saiten mit einer langen Lebensdauer sind die allererste Wahl.
Als Bassist hat man es einfacher. Hier braucht ihr nur einen Ersatzbass, ein Klinkenkabel sowie im Extremfall eine DI-Box – vorausgesetzt natürlich, dass eine Gesangsanlage oder eine PA mit Monitor vorhanden sind. Ist das nicht der Fall, hilft eigentlich nur ein Ersatzcombo im Kofferraum. Wenn ihr eurer Box bedingungslos vertraut, reicht auch ein zweites Topteil.
Die letzte Regel
Wenn alles funktioniert hat, der Auftritt vorbei ist und sich die Nerven wieder beruhigt haben: Bedankt euch bei den Kollegen, sei es für tatkräftige Hilfe oder auch nur, weil sie euch in eurem Leid und eurer Panik ausgehalten und wenig gemeckert haben. Nehmt alle Schuld auf euch (unter uns: Da gehört sie auch hin!), und gebt alles zurück, was ihr euch geliehen habt.
Ein paar Flaschen Wein oder ein Kasten Bier bei der nächsten Probe sorgen zusätzlich für gute Stimmung. Eure Mitmusiker werden es euch danken und euch beim nächsten Mal wieder behilflich sein. Übertreibt es aber nicht, sondern haltet euch an Regel Nummer 4. Die sorgt dafür, dass euch beim nächsten Mal nichts mehr überraschen kann.
Jürgen Richter